Samstag, 21. November 2015

Hells Angels, Mafia & Co

Von Thomas Hirschbiegel

Schutzgeld – ist das das Motiv des Mordes in der „Casa Alfredo“ am Hauptbahnhof? Immer mehr Indizien sprechen dafür. So soll das spätere Opfer (49) zunächst Geld gefordert und demonstrativ eine Waffe auf den Tisch gelegt haben. Die soll dann aber der Wirt (51) ergriffen haben. Er erschoss den mutmaßlichen Erpresser. Schutzgeld: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Hamburger Spezialermittler an diesem geheimnisvollen Delikt die Zähne ausgebissen. Hier der große Report aus den Akten der Hamburger Polizei.

In der „Casa Alfredo“ an der Kirchenallee fand die Polizei am Mittwoch eine Leiche im Fußboden.


Alles begann – natürlich – mit Italo-Restaurants. Ende der 70er Jahre wurden Restaurant-Besitzer genötigt, Pasta, Wein oder Olivenöl nur bei einem ganz speziellen Händler zu kaufen. Der gehörte zur Mafia. Die Preise waren ziemlich hoch. Als sich der Inhaber eines Eppendorfer Edel-Italieners weigerte, brannte sein Lokal ab. 1981 soll auch der berühmte Paolino an der Alster erpresst worden sein, es ging immerhin um 20.000 D-Mark (10.000 Euro).


Die Mafia schlägt zu

Die Polizei ermittelte damals monatelang, doch viele Zeugen litten unter „Gedächtnisverlust“. Trotzdem konnten einige Erpresser verurteilt werden. Ebenfalls in den 80er Jahren begann die PKK kurdische Landsleute in Hamburg zu erpressen. Sie mussten eine Art „Steuer“ an die Terror-Organisation zahlen, um den „Freiheitskampf“ der Kurden zu unterstützen. Es kam sogar zu Morden an zahlungswilligen Wirten oder Kaufleuten.

An der Grindelallee wurde noch 2003 der Chef eines Döner-Ladens von Erpressern mit Spiritus übergossen und verprügelt.


Schanzen-Wirte erpresst

Bis 1983 terrorisierten die Hells Angels das Schanzenviertel. Von dem Rocker-Lokal „Angels Place“ an der Schanzenstraße aus „besuchten“ sie Lokale in der Nachbarschaft. So rasten sie mit ihren Motorrädern mitten ins „Pickenpack“ am Schulterblatt und erbrachen sich dort gezielt am Tresen, warfen mit Eiern und belästigten die Gäste. Die Folge: Der Wirt zahlte ab diesem Tag jeden Monat mehrere 1000 Euro Schutzgeld an die Rockerbande.


Wenn diese Männer in den 80er Jahren in einem Lokal in der Schanze auftauchten, dann hatte der Wirt nichts zu lachen: Die Hells Angels verstanden keinen Spaß und kassierten jeden Monat von diversen Gastronomen Schutzgeld – bis 1983 eine Großrazzia mit 500 Polizisten dem Treiben der Rockerbande ein Ende machte.



Chinamafia extrem brutal

1994 hieß es: 90 Prozent der 150 Hamburger Chinalokale zahlen Schutzgeld an die „Triaden“ – das chinesische organisierte Verbrechen. Schockierende Einzelheiten wurden bekannt: Wer sich weigerte zu zahlen, dem wurden die Ohren oder Finger abgeschnitten. Trotz einer Mauer des Schweigens kann eine SOKO 20 Verdächtige ermitteln.


Wirte in Angst

1998 hatte der Hamburger Gastgewerbeverband 1650 Betriebe angeschrieben. 379 antworteten. Jeder zehnte erklärte, er sei selbst Opfer geworden oder er kenne jemanden, der erpresst wurde. Seitdem werden immer wieder Fälle bekannt. So zertrümmerten Erpresser im Jahr 2000 einen gläsernen Kerzenleuchter auf dem Kopf des Wirts einer Pöseldorfer In-Kneipe.

Festnahme eines mutmaßlichen Schutzgelderpressers 2006 in Allermöhe. Er soll den Inhaber eines Bistros erpresst haben.


2001 wurde ein Türsteher zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er hatte vom Wirt einer griechischen Kneipe an der Kieler Straße (Eidelstedt) Schutzgeld kassiert.
2007 wurden zwei Männer (27/28) gefasst, die den Besitzer eines Restposten-Markts an der Bahrenfelder Straße (Ottensen) erpresst hatten. 2008 überwältigten Polizisten einen hünenhaften Albaner mit dem Spitznamen „Hogan“, der den Wirt eines Italo-Restaurants am Eppendorfer Weg verprügelt hatte.


Aktuell keine Fälle?

Zuletzt gab es 2013 Gerüchte, nach denen ein italienisches Lokal auf St. Pauli „Besuch“ von Schutzgelderpressern bekommen hatte. Laut Polizei gibt es aktuell keine Fälle. Was nicht heißt, dass Schutzgelderpressung ausgestorben wäre. Es ist nur ein Verbrechen mit einer hohen Dunkelziffer.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen