Sonntag, 26. Juli 2015

Wo der Staat an der Mafia scheitert

Politik ist in Italien ein gefährliches Geschäft: Vor allem in Süditalien, wo die Mafia aktiv ist, findet sie deshalb kaum statt. Mehr als 200 italienische Gemeinden werden zum Teil seit Jahren zwangsverwaltet. In Platì, der Hochburg der Mafia in Kalabrien, versucht ein junger Bürgermeister diese Lücke mit Demokratie zu füllen.




Platì in Kalabrien, am Aspromonte könnte ein so schönes Fleckchen Erde sein. Die Grillen zirpen, das Meer ist nicht weit. Aber stattdessen ist Platì zum Symbol dafür geworden, dass die Mafia manche Gegenden Italiens fest im Griff hat. Der kleine Ort mit 2.500 Einwohnern gilt als Hochburg der 'Ndrangheta, der Mafia in Kalabrien. Auch deshalb sitzt im Rathaus kein gewählter Bürgermeister, sondern Luca Rotondi.

Er ist der Kommissar, der Zwangsverwalter einer Gemeinde, in der Demokratie offenbar nicht möglich ist. Platis Kommunalverwaltung, der Gemeinderat, wurden aufgelöst wegen Infiltration der Mafia.




In mehr als 200 Gemeinden in Italien ist das so, sagt Rotondi: "Die Zwangsverwaltung ist das letzte Mittel. Die Fälle, die das Gesetz vorsieht, sind deshalb auch sehr klar definiert. Doch in einigen Fällen ist es die einzige Lösung. Deshalb muss man von der Vernunft her den Kommissar als eine kurze, mehr oder weniger lange Zwischenphase akzeptieren, bis man demokratisch zu einer Verwaltung zurückfindet, die die Prinzipien und Regeln einhält."


Platì, das Mafia-Dorf

Über ein Jahr ist Rotondi schon im Amt, davor gab es andere Kommissare, seit fast 10 Jahren wird Platì praktisch durchgehend zwangsverwaltet. In den 80er-Jahren haben sie hier ihren Bürgermeister umgebracht. Vor ein paar Jahren haben rund 1.000 Polizisten das Dorf gestürmt und über 120 Menschen festgenommen. Darunter war auch Beppe Lentini, früher mal Vize-Bürgermeister. Verurteilt wurde er am Ende nicht, wie viele andere.

Auch deshalb sieht er Platì und seine Bewohner als Opfer, er sagt das mit einem kalabrischen Sprichwort: "Der Hund beißt immer den Allerärmsten. Das ist eine heilige Wahrheit. Das hier ist ein Dorf wie viele andere. Schlimme Sachen sind hier passiert. Und dafür darf nicht eine ganze Bevölkerung zahlen. Und seitdem ist die ganze Bevölkerung immer unterdrückt worden."


Die unterirdischen Gänge von Plati


So kann man das natürlich auch sehen. Platì, das Mafia-Dorf, mit dem ewigen Makel. Politik ist in Italien ein gefährliches Geschäft, dort, wo die Mafia aktiv ist und wo es Politiker gibt, die sich ihr entgegenstellen.


In fünf Jahren Amtszeit - drei Autos abgefackelt

Doch es gibt auch positive Beispiele aus dem Süden Italiens: Rosario Rocca wurde früher von vielen für verrückt gehalten. Er hatte einen sicheren Job als Lehrer bei Turin, während in seiner Heimat, in Kalabrien, viele junge Leute keine Arbeit haben. Aber er ist zurückgekommen nach Benestare, nur ein paar Kilometer von Platì entfernt.

Rosario Rocca hat 2006 hier als Bürgermeister kandidiert – und wurde gewählt. Damals war er 29. Der jüngste Bürgermeister in ganz Kalabrien. Bedroht wurde aber auch er massiv. Seine Frau traut sich nicht mehr, allein im Haus zu bleiben. Denn die 'Ndrangheta hat immer wieder versucht, ihn und seine Familie unter Druck zu setzen:


Rosario Rocca


"In 5 Jahren Amtszeit haben sie mir drei Autos abgefackelt, sie haben die Autos für die Mülltrennung angezündet. Das letzte Mal war letztes Jahr, drei Tage vor den Wahlen in Benestare."

Trotzdem, oder vielleicht deshalb, ist er für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Und versucht weiter, sein Dorf in Ordnung zu bringen. Und immer wieder versucht Rocca, seine Mitbürger zu aktivieren, mit ihnen zu diskutieren, dafür zu sorgen, dass die mitgestalten. Denn der Staat hat auch hier bisher nur eine große Lücke gelassen, die die Mafia ausgefüllt hat.






Die Hoffnung liegt auf der neuen Generation

"Ich versuche, diese Leere zu füllen. Die Politik mit einem großen P muss diese Leere füllen. Ich gebe alles und ein wenig habe ich es auch geschafft. Manchmal nicht. Man gewinnt und man verliert. Doch man muss es wenigstens versuchen. Das ist ein langer Prozess. Eine kleine Gemeinde und ein Bürgermeister reichen da nicht. Wir brauchen eine neue Generation, die für einen Wandel steht, der mit der bisherigen Politik nichts zu tun hat."

Auf dieser neuen Generation liegt die Hoffnung. Doch in vielen Gegenden vor allem in Süditalien sieht es noch ganz anders aus. Da findet Politik, da findet der Staat praktisch nicht statt.

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