Sonntag, 1. Juni 2014

Von Superbullen, Drogen und der Mafia im Allgäu

Es ist kein gutes Bild, das die Kokain-Affäre auf die Polizei im Allgäu wirft. Der Chef der Drogenfahndung sitzt in U-Haft, ein ambitionierter Mafia-Jäger wurde suspendiert. Gab es am Ende gar Verstrickungen zwischen Ermittlern und Kriminellen? Eine Geschichte über Macht, Verrat und Liebe.



Der Filterkaffee in den Tassen ist kalt und der Chef des Kemptener Drogendezernats kocht vor Wut. Armin N. ist ein groß gewachsener, drahtiger Mann Anfang Fünfzig. Was er gerade von dem auswärtigen Kollegen in Sachen Kokain gehört hat, gefällt ihm ganz und gar nicht. „Pfuscht uns nicht rein, wir haben unsere Stadt im Griff“, herrscht er den rund 20 Jahre jüngeren, zwei Köpfe kleineren Polizisten an.

Ali Cicek (Name geändert) gehört zur Kriminalpolizeiinspektion für zentrale Aufgaben (KPIZ), einer Spezialeinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit Sitz in Neu-Ulm. Die „Mafia-Jäger“, wie ihre Fahnder auch genannt werden, sind für den gesamten Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West zuständig.

Gerade ermitteln sie im Kemptener Drogenmilieu. Cicek gibt dem ranghöheren Armin N. offen Kontra: „Von wegen. An jeder Ecke wird gedealt, es gibt eine offene Szene.“ Von dieser Auseinandersetzung, die sich so vor etwa zwei Jahren zugetragen haben soll, wird in Polizeikreisen noch heute erzählt – denn die Streithähne sind Hauptfiguren einer Geschichte um Drogen, Macht, Gewalt, Verrat und Liebe. Keiner der beiden Polizisten geht mehr auf Verbrecherjagd.

Ali Cicek ist seit über einem Jahr vom Dienst suspendiert – weil er mit der attraktiven Frau eines mächtigen Drogenhändlers eine Beziehung eingegangen ist. Sein Widersacher Armin N. sitzt an einem geheimen Ort in Untersuchungshaft. Im Februar war der oberste Allgäuer Drogenfahnder wegen des Besitzes von 1,6 Kilogramm Kokain festgenommen worden. Über den Stand der Ermittlungen schweigt sich die zuständige Staatsanwaltschaft München I aus.


Viele Fragen in der Kokain-Affäre sind unbeantwortet

Viele Fragen sind offen. Woher stammen die Drogen? Stand Armin N. im Kontakt mit kriminellen Banden, gar mit der Mafia, die im idyllischen Allgäu stark vertreten sein soll? Verriet er Dienstgeheimnisse wie bevorstehende Razzien? Hat der hochrangige Polizist selbst mit Kokain gehandelt? Das Landeskriminalamt sucht seit 14 Wochen nach der Wahrheit.

Während offizielle Antworten fehlen, ergibt sich in zahlreichen Gesprächen mit Personen aus Sicherheitskreisen und dem Umfeld der Beteiligten Puzzlestein für Puzzlestein ein Bild bizarrer Vorgänge bei der Allgäuer Drogenfahndung.


Armin N. hat wohl selbst Kokain konsumiert

Bekannt ist, dass Armin N. in den Vernehmungen behauptet, dass er das Kokain mit einem Straßenverkaufswert von bis zu einer Viertelmillion Euro nur zu Schulungszwecken besessen hat. Doch daran glaubt bei Polizei und Justiz niemand. Immerhin hat der hochrangige Polizist zugegeben, selbst Kokain genommen zu haben. Viele fragen sich nun, wie er dies vor Vorgesetzten und Kollegen verbergen konnte.

Privat zeigt das Bild von Armin N. schon länger Risse. Eine erste Ehe scheitert, gegenüber seiner zweiten Frau wird er handgreiflich, offenbar so massiv, dass dauerhafte Schäden zurückbleiben. Das Polizeipräsidium weiß von den Gewalttaten ihres Kommissariatsleiters, doch der Sache wird nicht weiter nachgegangen. Offenbar ist der Frau von Armin N. nicht an einer Strafverfolgung gelegen.


Nur nach außen ein Musterbeamter?

Nach außen hin scheint der passionierte Tennisspieler ein Musterbeamter zu sein. Als er vor vierzehn Jahren Leiter des Kemptener Drogendezernats wird, sagt er bei einer Podiumsdiskussion, dass es die heile Welt in Sachen Drogenmissbrauch auch im Allgäu nicht gibt. Die Polizei sei in dieser Hinsicht viel aktiver als früher. Haben Armin N. und seine Leute die Stadt in den folgenden Jahren wirklich im Griff? Polizei-Insider beschreiben die Arbeit der Kemptener Drogenfahndung als „unauffällig“.

Vielleicht sogar auffällig unauffällig. Die Mehrzahl der Fälle dreht sich laut Polizeistatistik um Haschisch und Marihuana, von härteren Drogen werden nur vergleichsweise geringe Mengen gefunden. Dabei beschreiben Szenekenner die Allgäu-Metropole als „Kokain-Hochburg“. Das Rauschmittel aus dem südamerikanischen Koka-Strauch sei quer durch alle gesellschaftlichen Schichten verbreitet.

Um diesen zweifelhaften Ruf Kemptens wissen auch die Beamten der KPIZ. Diese Spezialisten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind für ein Gebiet zuständig, das sich von Gundremmingen im Kreis Günzburg bis Oberstdorf im Allgäu erstreckt. Ab 2009 gehen sie gezielt Hinweisen nach, dass italienisch dominierte Banden im Allgäu den Handel mit Kokain kontrollieren. Unter den Ermittlern ist der eingangs erwähnte Ali Cicek, ein deutscher Polizist mit türkischen Wurzeln. Zur Kemptener Drogenaffäre äußern will er sich nicht.


"Er wollte der Superbulle sein"

Kollegen sagen: „Für Ali war der Dienst wie ein Kinofilm, er wollte der Superbulle sein, war immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung.“ Der junge Beamte gilt zeitweise als Paradebeispiel für die gelungene Integration von Bürgern ausländischer Herkunft in den Polizeidienst. Dass er zur KPIZ berufen wird, die den Ruf einer Art Elitetruppe hat, muss für den Hobbyfußballer wie der Aufstieg in die Bundesliga gewesen sein.

Den Verdacht der Ermittler aus Neu-Ulm zieht schnell ein italienischer Gastronom auf sich. Giuseppe C. betreibt am Kemptener Rathausplatz ein Lokal (das heute einen neuen Namen und einen neuen Betreiber hat), bei schönem Wetter brummt an den Tischen vor der Gaststätte das Geschäft mit Pizza, Pasta und Aperol Spritz. Seinen aufwendigen Lebensstil aber finanziert der bullige Wirt, der stets den Hemdkragen hochgestellt trägt und einen großen BMW-Geländewagen fährt, offenbar aus anderen Quellen.

Zunächst verdeckt, dann offen, taucht Ali Cicek tief ein in eine Welt der schicken Lokale, schnellen Autos, schönen Frauen. Kokain ist der Treibstoff, der diese Szene befeuert.

Die Mafia-Jäger aus Neu-Ulm und die Kemptener Drogenfahnder unter Armin N. sollen sich gegenseitig unterstützen. Die Praxis, sagen Eingeweihte, ist von Rivalitäten geprägt. Gerade „der Türke“ scheint nicht wohlgelitten bei den Kemptener Platzhirschen.
So geben Ali Cicek und seine KPIZ-Kollegen angeblich mehrfach Hinweise auf Drogendelikte weiter. Während sie die großen Haie jagen, sollen die Kemptener die kleinen Fische fangen. Doch irgendwie erscheint deren Netz löchrig.


Überwachung ergibt keine Hinweise

Ein Verdächtiger, so heißt es, sei von einem Beamten der Kemptener Drogenfahndung offen über laufende Ermittlungen informiert worden. Wenig überraschend: Bei der folgenden „geheimen“ Überwachung der Telefonverbindungen des mutmaßlichen Drogendealers ergeben sich keinerlei Hinweise auf Verbrechen. Auf die Aktivitäten eines stadtbekannten Drogenhändlers habe die KPIZ noch deutlicher aufmerksam gemacht.

Nach Wochen heißt es bei den Kemptener Drogenfahndern: „Der macht nichts.“ Merkwürdig: Der Mann geht später den KPIZ-Beamten ins Netz, ihm kann der Handel mit einem Kilo Kokain nachgewiesen werden. Razzien, bei denen beide Dienststellen kooperieren, bringen selten den gewünschten Erfolg. Teilnehmer fragen sich heute: Wurden Aktionen aus dem Kemptener Drogendezernat heraus verraten? Welche Rolle spielte Armin N.?


Alter Vorfall wird neu betrachtet

Nach Informationen unserer Zeitung wird in diesem Zusammenhang auch ein Vorfall von 2012 neu beleuchtet. Ein enger Mitarbeiter von Armin N. aus dem Rauschgiftdezernat soll über eine dritte Person den Drogenhändler Giuseppe C. vor Polizeiaktionen gegen ihn gewarnt haben. Bei einer Telefonüberwachung erfahren die KPIZ-Beamten davon und geben einen Hinweis ans Präsidium weiter. Nach Angaben des Kemptener Polizeipräsidiums wurde ermittelt, das Verfahren aber im Juni 2013 eingestellt – mangels Aussicht auf eine Verurteilung.

Eingeweihte glauben, dass die laufenden Ermittlungen gegen Armin N. neue Erkenntnisse in dieser Sache bringen könnten. Bei der Staatsanwaltschaft München I war dazu gestern keine Auskunft zu bekommen. Der Kemptener Polizeiführung sollen zudem sogar konkrete Hinweise vorgelegen haben, dass Polizisten der Kemptener Drogenfahndung auf Partys gesichtet wurden, bei denen Kokain konsumiert wurde.


Rund 60 Personen müssen sich wegen Drogenvergehen verantworten

Trotz vieler Hindernisse und Merkwürdigkeiten sind die Ermittlungen der Mafia-Jäger erfolgreich – wenn auch nicht im erhofften Ausmaß. Am Ende müssen sich rund 60 Personen aus Kempten und Umgebung wegen Drogenvergehen und anderer Delikte vor dem Richter verantworten. Giuseppe C. wird im Frühjahr 2013 als einer der Haupttäter zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, weitere Dealer müssen ebenfalls für längere Zeit hinter Gitter.

Die Arbeit der KPIZ ist damit nicht beendet. Das nächste Ziel: Herauszufinden, wer die Hintermänner sind, die Dealer wie Giuseppe C. mit Kokain beliefern. Weltweit dominieren Mafia-Organisationen den Handel mit dem Aufputschmittel. Dass das Allgäu Rückzugsraum von Mafiosi ist, hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kürzlich im Gespräch mit unserer Zeitung bestätigt.

Mit Gastarbeitern waren einst auch Gangster aus der Region um das sizilianische Adrano gekommen – einer Hochburg der Cosa Nostra, die wegen hunderten von Mafia-Morden als „Todesdreieck“ bekannt geworden ist. Welche Rolle spielt die ehrenwerte Gesellschaft heute im Allgäu? Diese Frage bewegt die Beamten der KPIZ. Den tiefsten Einblick in die Kemptener Kokainszene, da sind sich Eingeweihte einig, hat Ali Cicek.


Beziehung zu einer früheren Gangsterbraut

Doch zu weiteren Ermittlungen kommt er nicht mehr. Im Frühjahr 2013 wird er vom Dienst suspendiert – wegen seiner Liebe zu einer früheren Gangsterbraut. Ali Cicek hat sich ausgerechnet in die Frau der Hauptfigur im Kemptener Kokainverfahren verliebt. Die Ehe der blonden Simone (Name geändert) mit Giuseppe C. soll bereits zerrüttet gewesen sein.

Die Beziehung zwischen ihr und dem Beamten, der ihren Ehemann hinter Schloss und Riegel brachte, hat angeblich erst nach dem Verfahren begonnen. Trotzdem reagiert das Polizeipräsidium hart, als es von dem brisanten Verhältnis erfährt. Den Hinweis soll eine Frau aus dem Umfeld der Drogenszene gegeben haben, die angeblich seit Jahren mit Armin N. bekannt ist.

Der Leiter des Drogendezernats, den heute niemand bei der Polizei so richtig gekannt haben will, gilt zu jener Zeit als bestens vernetzt mit seinen Vorgesetzten im Präsidium. Hat er die Fäden gezogen, um seinen erklärten Feind Ali Cicek auszuschalten? Plötzlich wird dem erfolgreichen Ermittler Geheimnisverrat vorgeworfen.


Auch der Vorgesetzte verliert seinen Posten

Auch der Vorgesetzte von Ali Cicek verliert seinen Posten. Ihm wird vorgeworfen, auf die brisante Beziehung seines Untergebenen nicht angemessen reagiert zu haben.
Das Landeskriminalamt ermittelt mehrere Wochen lang. Und findet keinerlei Hinweise, dass der junge Ermittler Cicek seiner neuen Partnerin etwa Dienstgeheimnisse ausgeplaudert haben könnte. Doch die Suspendierung des Polizisten dauert bis heute an.

Ali Cicek ist in Polizeikreisen nicht unumstritten. Er habe bei den Ermittlungen auch seine Wirkung auf Frauen ausgenutzt, Damen aus dem Umfeld der Drogenhändler für Informationen „angezapft“, heißt es. Doch viele fragen sich: Warum ging das Polizeipräsidium mit solcher Härte gegen einen erfolgreichen Drogenfahnder vor? Sie sehen Ali Cicek und seinen Chef als Opfer einer Intrige von Armin N. und möglicher Komplizen.

Wollte der koksende Kommissar verhindern, dass der neugierige Jungfahnder ihm auf die Schliche kommt? Dass der KPIZ-Ermittler und sein Chef aus dem Verkehr gezogen wurden, dürfte Armin N. nicht nur wegen des Eklats bei der Dienstbesprechung gefreut haben. Er hatte einstweilen Ruhe.



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