Montag, 16. Juni 2014

WM 2014 - Angebote der Mafia kann man nicht ausschlagen...

Die lukrative Symbiose von Fußball und Verbrechen oder: Wie die Mafia Angebote macht, die man nicht ausschlagen kann.




Im Herzen des peruanischen Urwaldes haben Politiker ihrem Fetisch ein Denkmal gesetzt: grün angestrichene, überlebensgroße Kokablätter aus Zement. Damit ist auch gleich die Frage erledigt, woher der Reichtum dieser gottverlassenen Gegend stammt, in die bis heute nur eine unbefestigte Straße führt und die nicht mal einen ordentlichen Namen hat, sondern nur als VRAE bekannt ist, als „Tal der Flüsse Apurímac, Ene und Mantaro“.












Nirgendwo auf der Welt wird mehr Kokain produziert als hier. Die ersten Koksflieger starteten von den behelfsmäßigen Sandpisten neben den Flüssen in den 80er Jahren. Was das mit der WM zu tun hat? Das Geschäft, das erst von Kolumbianern, dann von Mexikanern kontrolliert wurde, ist inzwischen vor allem in der Hand brasilianischer Verbrechersyndikate, allen voran das Erste Hauptstadtkommando (PCC). Sie haben in den vergangenen Monaten ihre Lager mit Blick auf die WM aufgefüllt, wie der Drogenexperte Jaime Antezana berichtet. „Täglich starten im VRAE fünf, sechs Kleinflugzeuge mit bis zu 300 Kilogramm Kokain an Bord“, bekräftigt die Ex-Präsidentin der peruanischen Anti-Drogen-Kommission (Devida), Carmen Masías. Kurz nach dieser Aussage wurde sie Ende Mai abgesetzt.


Gilberto Rodriguez Orejuela
Größter Kakain-Drahtzieher
heute - bedeutenster Wett-Pate im Fußball


Doch die Brasilianer kamen zum gleichen Schluss: Im Mai starteten sie eine großangelegte Razzia entlang der Grenze. Dabei wurden 40 Tonnen Rauschmittel sichergestellt – mehr als doppelt so viel wie bei der letzten Aktion ein Jahr zuvor. Die WM ist auch für die Mafia attraktiv.


Illegale Wetten bringen den größten Gewinn

Die paraguayische Polizei erwischte am Freitag sieben Mädchen auf der Grenzbrücke von Ciudad del Este. Sie wurden in zwei Autos nach Brasilien gefahren, um dort prostituiert zu werden. Das größte Geschäft erhofft sich allerdings die Wettmafia, die schon vor der WM 2010 in Südafrika mindestens fünf Exhibitionsspiele verfälschte. „Wir müssen davon ausgehen, dass die organisierte Kriminalität versucht, WM-Spiele zu manipulieren. Bei dieser Veranstaltung werden die meisten Wettumsätze gemacht und die größten Gewinne erzielt“, sagte der Sicherheitschef des Internationalen Fußball-Verbandes (Fifa) Ralf Mutschke.

Dass es gleich bei den ersten beiden Spielen zu eklatanten Schiedsrichterfehlern kam, untermauert den Verdacht vieler Fans. Der amerikanische Sportjournalist Brian Tuohy glaubt, dass bei jedem WM-Spiel bis zu einer Milliarde Dollar illegal verwettet werden. Die Geldflüsse im Fußball sind enorm, global und unübersichtlich – was kann sich die Mafia besseres wünschen?

Pioniere der Verzahnung von Fußball und Verbrechen waren dabei die Kolumbianer. Als sich das Andenland 1997 für die WM qualifizierte, widmete der damalige Starspieler Anthony de Avila sein entscheidendes Tor „denjenigen, die im Gefängnis sitzen“. Damit meinte er die langjährigen Eigentümer seines Clubs América de Cali: Miguel und Gilberto Rodríguez Orejuela, die fußballbegeisterten Köpfe des Cali-Kartells, der damals einflussreichsten Drogenmafia Südamerikas. Die Orejuela-Brüder wuschen ihre Drogenvermögen unter anderem in diversen Fußballclubs. Gleiches hatte schon in den 80er Jahren Drogenboss Pablo Escobar mit dem Club Atlético seiner Heimatstadt Medellín gemacht, der dank dieser Finanzspritze 1989 sogar erstmals den Südamerika-Cup gewann.


Pablo Escobar


Alleine sind die Latinos dabei aber nicht: Auch bulgarische Clubs sind einem Wikileaks-Kabel zufolge vom Organisierten Verbrechen kontrolliert. In den vergangenen fünf Jahren ist die Justiz weltweit von Fällen geradezu überrollt worden: Gerade erst wurde Pelés Sohn und Ex-Torhüter von Santos, Edinho, zu 33 Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt. Spanien ermittelte wegen Geldwäsche gegen die Familie Messi.

Der ehemalige Atlético-Präsident José Luis Pérez Caminero steht vor Gericht, weil er die Gelder eines mexikanisch-kolumbianischen Drogennetzes wusch. 2010 flog ein Geldwäschenetz auf, in das argentinische Finanzagenturen, uruguayische Banken, chilenische Spielervermittler und Clubs wie Santa Fé de Bogota verwickelt waren. Es soll über 1,7 Milliarden US-Dollar gewaschen haben. In Mexiko nahm die Polizei Anfang des Jahres den Drogenhändler Tirso Martínez fest. Spitzname: „Der Fußballer“, denn er investierte seine Gewinne in drei lokale Clubs und eine Spieleragentur. Auf Amateurniveau steht nicht immer die Geldwäsche im Vordergrund, sondern das gesellschaftliche Prestige, das Sportmäzene erlangen.


Jagd auf Koks-Plantagen


Das zeigt ein Beispiel aus dem mexikanischen Bundesstaat Michoacán. Dort betreiben die Kartelle Fußballschulen und sponsern lokale Clubs – ein Mittel, sich Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen.

Die Öffentlichkeit hat – bis auf ein paar spezialisierte Journalisten wie Denis Robert, Misha Glenny und Declan Hill – erstaunlicherweise lange keine Notiz davon genommen. Die erste Untersuchung der Europäischen Union dazu stammt aus dem Jahr 2007. Im Weißbuch SPORT heißt es immerhin: „Der Sport steht durch seine Kommerzialisierung vor neuen Herausforderungen wie der Ausbeutung von Minderjährigen, Doping, Korruption, Rassismus, illegale Wetten, Gewalt und Geldwäsche.“

2009 legte auch die Aktionsgruppe für Finanztransaktionen in Südamerika (Gafisud) eine Studie zum Thema vor.

Keine der beiden Studien wirft Zahlen in den Raum. Der ehemalige Fifa-Sicherheitschef und heute Direktor einer NGO für Sicherheit im Sport, Chris Eaton, schätzt, dass jährlich 140 Milliarden Dollar auf der Schattenseite des Sports umgesetzt werden. Die Geldströme flössen global, oft über Steuerparadiese und Offshore-Banken und seien kaum zu verfolgen. Dabei haben die Experten illegalle Fußball-Wetten „aufgrund der Komplexität“ gar nicht erst untersucht. Dafür stellten sie fest, dass besonders die undurchsichtigen Praktiken bei Spielertransfers ein schwarzes Loch bilden. Das illustriert der Fall „Ciclón“.




Im Jahr 2009 stellte die spanische Polizei in den Häfen von Algeciras und Valencia eine Tonne Drogen sicher und verhaftete  neun Spieler und Agenten, darunter den serbisch- französischen Spielervermittler mit Fifa-Lizenz, Zoran Matijevic, und die Spieler Jesus Diez (Atlético) und Pedrag Stankovic (Hercules). Ihnen wird in dem gerade laufenden Prozess vorgeworfen, ein professionelles Drogenschmugglernetz zwischen Argentinien und Spanien aufgezogen zu haben. Matijevic behauptet, er habe damals über Spielertransfers verhandelt, daher stamme das viele Geld.

Dabei sind einige der weltweit 4 000 Fifa-Agenten sogar in internationale Transfers von Minderjährigen verstrickt, wie der chilenische Journalist und Buchautor Juan Pablo Meneses recherchiert hat. Bei einem opulenten Meeresfrüchte-Abendessen ließ er sich von einem Fifa-Agenten unterweisen, welche Tricks dabei zu beachten seien.


Die Fifa hält sich vornehm zurück

Das Standardargument der Fifa lautet: Für die Gesetze seien die jeweiligen Länder und Fußballverbände verantwortlich. Von denen sind einige als notorisch korrupt bekannt. Doch selbst wenn man nicht so weit gehen möchte wie der britische Journalist Andrew Jennings, der in seinem Buch „Omertà“ die Fifa-Strukturen mit denen des organisierten Verbrechens vergleicht, bleibt die Frage, warum die Fifa so lange untätig blieb.




Erst seit 2011, als das chinesische Fernsehen Spiele aufgrund abgekarteter Ergebnisse nicht mehr übertrug, schrillten die Alarmglocken. Die Fifa berief eine Konferenz mit Interpol ein, verabschiedete einen Ethik-Code und machte den früheren Interpol-Agenten Eaton zum Sicherheitschef. Dieser richtete eine Whistleblower-Hotline ein, arbeitete eng mit nationalen Ermittlern zusammen und legte einen Fonds für die „ethische Fortbildung“ der Fußballwelt auf. Unter ihm flogen zahlreiche Mafianetze auf. Doch 2012, nachdem die Fifa einen von Eaton vorgeschlagenen Detektiv nicht anheuern wollte,  warf der für seine harte Haltung und klaren Worte bekannte Australier das Handtuch. Nachfolger Mutschke pflegt eher Diskretion.

Die Fifa habe das Problem unterschätzt, sagt der ehemalige BKAler – und reicht die heiße Kartoffel weiter: „Wir sperren Spieler und Schiedsrichter lebenslänglich, aber die Mafia lässt sich durch unsere Disziplinarmaßnahmen natürlich nicht abschrecken. Da ist die Justiz gefragt. Doch die Drahtzieher sind auf freiem Fuß“, beklagte sich Mutschke 2013 auf der gemeinsamen Interpol-Tagung in Kuala-Lumpur.

Mutschke bezog sich auf einen Fall, der 2012 ausgerechnet in einem Land aufflog, das fußballerisch nicht gerade eine Größe ist: El Salvador. Ein Reporter der Sportzeitung El Gráfico, dem der plötzliche Reichtum einiger Spieler auffiel, brachte ans Licht, dass sieben Spieler der Nationalmannschaft für  10.000 Dollar ihre Mannschaft auf Anweisung der Wettmafia verlieren ließen.

Wie das funktioniert, erklärte Cristian Villalta, Chefredakteur von El Gráfico, so: „Man braucht mindestens sechs aktive Spieler dafür, vor allem den Torwart und die Verteidiger, die während des Spiels so viel faulen, dass sie vom Platz gestellt werden, Eigentore schießen oder dem Gegner genau so viele Tore ermöglichen, wie die Mafia braucht. Und dann braucht man einen Ersatzspieler, der per Handy die Instruktionen entgegen nimmt.“  Bei einem einzigen Spiel wurden Villalta zufolge so zehn Millionen US-Dollar verschoben.




Ein Jahr später brachte eine Ermittlung von Europol unter Leitung der Bochumer Staatsanwaltschaft ans Tageslicht , dass in den Skandal beileibe nicht nur Drittwelt-Länder und Amateurclubs verwickelt waren, sondern 300 europäische Spiele bis hoch zu WM-Qualifikationsspielen und der Champions League in 15 Ländern, darunter Österreich, Italien und Deutschland. Die Wettmafia zahlte bis zu 100.000 Euro an 425 Spieler, Schieds- und Linienrichter und Funktionäre. Die Fäden liefen in Asien zusammen, der Hochburg der Wettmafia.

Voriges Jahr wurde der Chef des Rings, Dan Tan, in Singapur festgenommen. Doch ob er sich jemals vor Gericht verantworten muss, ist unklar. In Singapur hat er keine Straftat begangen und die Ermittlungszusammenarbeit mit den betroffenen Ländern versinkt in Bürokratie. Die Beweise seien unzureichend, vertraute ein Justizbeamter der BBC an. Journalist Hill sagte der BBC, die Singapurer Polizei sei korrupt und habe Dan Tan Straffreiheit angeboten. Interpol-Chef Ron Noble bestritt dies, räumte aber ein, dass er gegen eine Hydra kämpft.  „Es ist ein für die Öffentlichkeit unsichtbares Verbrechen, aber wenn man nicht den Daumen drauf hält, explodiert es einem im Gesicht.“
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Autor: Sandra Weiss
http://www.ipg-journal.de/kolumne/artikel/warum-sich-die-mafia-ueber-die-wm-freut-471/

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