Dienstag, 24. September 2013

Das zweite Leben konfiszierter Mafia-Güter

Wenig Transparenz beim Wiederverwertungsprozess nach der Beschlagnahmung in Italien.

In Italien sind in den letzten Jahren Güter der Mafia im Wert von mehreren Milliarden Euro konfisziert worden. Diese Besitztümer müssen für soziale Zwecke genutzt werden. Was damit tatsächlich geschieht, wird aber nicht immer dokumentiert.


beschlagnahmtes Anwesen von Camorra-Boss Michele Zaza


Im schmalen, siebenstöckigen Palazzo im Herzen Roms feiern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der gemeinnützigen Anti-Mafia-Gruppe «Libera» den Beginn des Frühlings auf besondere Art. Seit der Gründung der Organisation 1995 wird jedes Jahr Ende März in mehreren italienischen Städten der «Tag des Gedenkens und des Einsatzes» für die unschuldigen Opfer der Mafia begangen. Alleine im süditalienischen Potenza kamen kürzlich Zehntausende von Personen für dieses Ereignis zusammen.




In den gleichen Räumen des «Libera»-Hauptsitzes, wo heute landesweite Kampagnen gegen das organisierte Verbrechen auf die Beine gestellt werden, fanden vor nicht allzu langer Zeit noch Geschäftstreffen zwischen hochkarätigen Exponenten der neapolitanischen Camorra statt. Das Gebäude unweit der Piazza Venezia gehörte einst dem prominenten Camorra-Boss Michele Zaza, ehe es die Justizbehörden 1994 in beschlagnahmten.


17 Millionen Euro Bargeld im Keller von Camorra-Boss Michele Zaza!



«Mafia-freies Land»

Vor genau 15 Jahren trat in Italien das Gesetz zur Wiederverwertung von konfiszierten Mafia-Gütern für soziale Zwecke in Kraft. Das Dekret sieht vor, dass auf kriminelle Weise erlangte Besitztümer an Genossenschaften, Verbände, Gemeinden, Provinzen oder Regionen verteilt werden, die das Kapital für die Verwirklichung von gemeinnützigen Tätigkeiten, neuen Arbeitsplätzen und öffentlichen Diensten wiederverwerten. Mit dieser Vorlage begann ein neuer Abschnitt im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Nach jahrzehntelanger Arbeit und mehreren Verzögerungen ist die Justiz seither befugt, bei Verdacht auf Angehörigkeit oder Verbindungen zur Mafia Güter zu beschlagnahmen, die danach sinnvoll umgewandelt und der Zivilgesellschaft zurückgegeben werden.

Laut der Agenzia Nazionale Beni Sequestrati e Confiscati (ANBSC), welche 2010 ausschließlich für die Verwaltung der konfiszierten Vermögen gegründet wurde, sind seit der Einführung des Gesetzes dem organisierten Verbrechen landesweit rund 11 150 Güter – darunter Palazzi, Wohnungen, Ferienresidenzen, Unternehmen und Bauland – weggenommen worden. Dabei wurden vor allem die Mitglieder der drei grossen Verbrechersyndikate getroffen. Die meisten Güter, knapp 5000, wurden bisher von der Justiz bei der sizilianischen Cosa Nostra konfisziert. Seit 1996 sind jeweils knapp 1700 beziehungsweise 1550 Besitztümer der Bosse der Camorra in Kampanien und jener der kalabrischen 'Ndrangheta beschlagnahmt worden.

Nach Sizilien, Kampanien und Kalabrien kamen die Justizbehörden nicht etwa in Apulien, wo die vergleichsweise weniger einflussreiche Sacra Corona Unita agiert, sondern in der Lombardei am häufigsten zum Einsatz. In der Region um Mailand gewinnen die kriminellen Vereinigungen Süditaliens seit geraumer Zeit immer mehr Macht und Einfluss.

Der genaue Wert der konfiszierten Güter lässt sich laut «Libera» nur schwer festlegen. Verschiedene Studien über die finanziellen Mittel der Mafia schätzen diesen allein in den vergangenen zwei Jahren auf mehrere Milliarden Euro. Beim beschlagnahmten Kapital handelt es sich meist um Immobilien, die anschließend in Einrichtungen wie beispielsweise Jugendtreffs oder Kulturgesellschaften umgewandelt werden. Solche Strukturen sind dann prominenten Mafia-Opfern wie dem sizilianischen Aktivisten Giuseppe Impastato oder dem Richter Giovanni Falcone gewidmet.

Auf Sizilien sind in den letzten Jahren auf Grundstücken, die ehemals im Besitz der Clans waren, zahlreiche landwirtschaftliche Genossenschaften entstanden. Dort werden unter dem Etikett «Libera Terra» («Mafia-freies Land») nach biologischen Kriterien etwa Olivenöl, Zitronen oder Wein produziert. Dank solchen Projekten haben viele Jugendliche nicht nur die Möglichkeit, in ihrer Region zu bleiben und einer legalen Tätigkeit nachzugehen; mit ihrer Arbeit auf konfisziertem Land tragen sie auch zur Verbreitung einer Anti-Mafia-Kultur bei.


Nicht nur Erfolge

Obschon der italienische Staat und die Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren wichtige Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen feiern durften, gibt es in dieser Hinsicht vor allem im Süden noch immer große Herausforderungen. Auf Sizilien bestimmen die Clans der Cosa Nostra nach wie vor fast jeden Bereich, vom Agrar- und Lebensmittelgeschäft über Dienstleistungen bis zu Auftragserteilungen der öffentlichen Hand. Auch im Immobilien- und Finanzsektor halten die Bosse die Fäden in der Hand. Laut dem palermitanischen Händlerverband «SOS Impresa» hat die Ausbreitung und Kontrolle der Mafia schwerwiegende Folgen für die Unternehmer der Region. Jeden Tag werden in diesem Zusammenhang 1300 Delikte verübt, wobei Händler meist Opfer von Erpressung werden.

Für die Mafia-Bosse ist ihr akkumuliertes Kapital nicht nur finanziell wertvoll. Reichtum wird auch als Beweis von Macht zur Schau gestellt. Aus diesem Grund ist das Gesetz zur Konfiszierung von Mafia-Gütern für soziale Zwecke juristisch wie auch kulturell von Bedeutung. Kommt es zur Beschlagnahme durch die Behörden, so muss in der Regel auch mit einer scharfen Reaktion der Mafia-Bosse gerechnet werden. Konfiszierte Güter wie Immobilien oder Land werden im Auftrag der Clans beschädigt, damit sie danach nicht mehr an die Öffentlichkeit zurückgegeben werden können. Vergeltungsmaßnahmen beschränken sich jedoch nicht auf Sabotagen oder Vandalismus. Auch Mitarbeiter der landwirtschaftlichen Genossenschaften auf Sizilien und in Kalabrien werden zu Zielscheiben der Mafia. Wegen ihres Einsatzes müssen sie mit Angriffen rechnen oder erhalten Morddrohungen.

Die Vorlage zur Konfiszierung und gemeinnützigen Verwendung der Mafia-Schätze stößt auf Grenzen. Als problematisch erweist sich vor allem die Dauer der verschiedenen Prozeduren. Wird das Gesetz angewendet, so kann es vom Tag der Beschlagnahmung an zwischen sieben und zehn Jahren dauern, bis die Güter der Öffentlichkeit zurückgegeben werden können. Dabei verlieren Immobilien, die Witterungs- und anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, an Wert. Zusätzliche Finanzmittel für die Wartung oder Renovierung der Güter fehlen, andere Faktoren wie bestehende Hypotheken oder Verschuldung behindern eine Wiederverwertung der Liegenschaften.


Mangelnde Transparenz

Eine weitere Schwierigkeit stellt die wenig transparente Zuteilung der konfiszierten Besitztümer dar. Aus einer jüngst von «Libera» veröffentlichten Studie über beschlagnahmte Güter in der Region Latium ging beispielsweise hervor, dass mehrere Immobilien zwar zugeteilt wurden, aber noch immer leer standen. Andere erwiesen sich als besetzt, wobei unklar blieb, wer sie brauchte und zu welchen Zwecken. Alleine in der Stadt Rom wird laut dem Bericht derzeit ein Viertel der 135 zugeteilten Güter nicht für gemeinnützige Projekte, sondern auf andere Weise verwendet. Im gleichen Zusammenhang besteht das Risiko, dass Besitztümer nach der Konfiszierung über einen Strohmann wieder in den Besitz der Bosse kommen.

Vor diesen Herausforderungen steht in erster Linie die Agentur für die Verwaltung der beschlagnahmten Güter, die selber jedoch nicht über genügend Personal verfügt, um ihre Aufgabe zu bewältigen. Derzeit sind in den beiden Sitzen der ANBSC in Reggio Calabria und Rom zusammen lediglich 30 Mitarbeiter im Einsatz, die für das gesamte nationale Gebiet zuständig sind. Der Präfekt Mario Morcone, der die Agentur leitet, hat in den vergangenen Monaten mehrmals zusätzliches Dienstpersonal und Ressourcen gefordert. Bisher sind seine Appelle auf taube Ohren gestoßen.

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