Samstag, 13. Juli 2013

Eine ganze Stadt in der Hand der Mafia

In Süditalien gelang ein spektakulärer Schlag gegen die organisierte Kriminalität. Doch die Politik zeigt nicht viel Engagement.

Müllabfuhr, Parkhäuser, eine Kompostierungsanlage, die Badestrände, Werbung auf öffentlichen Plätzen – in der 11.000 Einwohner großen Küstenstadt Scalea im süditalienischen Kalabrien scheint sich nahezu alles, was Geld einbringt, in den Händen von Mario Stummo und Pietro Valente zu befinden. Das Problem: Beide sollen der 'Ndrangheta angehören. Die kriminelle Vereinigung ist Kalabriens Pendant zur sizilianischen Mafia und zur neapolitanischen Camorra. Aufgedeckt hat die Herrschaft der 'Ndrangheta über Scalea die Anti-Mafia-Einheit in Catanzaro.



Scalea, Kleinstadt in der Hand der Mafia

Auf ihren Wink hin nahm die Polizei am Freitag in einem breit angelegten Schlag gegen das organisierte Verbrechen in fünf Provinzen insgesamt 38 Personen fest. Sie beschlagnahmte Güter im Wert von 60 Millionen Euro. Konfisziert wurden 22 Unternehmen, 81 Immobilien, mehrere Geschäfte, 50 Hektar Land, 33 Luxusautos von Jaguar, BMW und Mercedes sowie zwei Yachten. Die Ermittler sprechen von Entführung, Waffenbesitz, Korruption und Bilanzfälschung.



Scaleas Badestrände


Zu den Festgenommenen zählen auch der Bürgermeister Scaleas, Pasquale Basile, und fünf seiner Kabinettskollegen. Die Clans um Stummo und Valente sollen Basile im Jahr 2010 ins Amt gehoben haben. Im Gegenzug für die Wahlkampfhilfe habe ihnen Basile die lukrativen öffentlichen Aufträge und Konzessionen der Stadt zugeschanzt, vermuten die Ermittler. In der Kanzlei eines Anwalts soll die Regierung mit Stummo sowie Valente die Geschäfte organisiert haben. Zusammen sollen sie Ausschreibungen so ausgestaltet haben, dass letztlich die 'Ndrangheta den Zuschlag bekam.
 
 
Pasquale Basile, Bürgermeister von Scalea - verhaftet
 
 
Der Fall Scalea unterstreicht einmal mehr die Macht der organisierten Kriminalität in Italien. Trotz spektakulärer Ermittlungserfolge gelingt es der Regierung, der Justiz und der Polizei nicht, die 'Ndrangheta, die Mafia oder die Camorra zu bändigen. Die Clans sind tief in der Gesellschaft verankert und unterhalten enge Beziehungen zu den politischen Entscheidungsträgern. Sie gelangen so an öffentliche Aufträge, Konzessionen und Grundstücke. Das eröffnet ihnen nicht nur Chancen, die Gewinne zu vermehren. Sie können so auch leichter die Gelder aus dem Handel mit Kokain, Schutzgelderpressung und dem Verkauf gefälschter Markenprodukte wieder in den Wirtschaftskreislauf schleusen.
 
Die 'Ndrangheta, die Mafia und die Camorra sind längt nicht mehr nur in Italien aktiv. Sie expandieren zunehmend ins Ausland und engagieren sich dort über verschachtelte Strukturen in der Realwirtschaft. Europas Polizeibehörde Europol schlägt deshalb Alarm und spricht mit Blick auf die italienischen Clans von einer "heimtückischen Bedrohung" für Europa. "Die Aktivitäten mögen im Vergleich zu anderen kriminellen Gruppierungen weniger sichtbar sein. Aber das Bild an Informationen, das sich auf Basis unseres Netzwerks an Kontakten in Europa ergibt, ist klar", schreibt Europol in einem aktuellen Lagebericht und mahnt eine bessere internationale Zusammenarbeit an
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Italiens Regierung fällt bisher nicht mit ambitionierten Vorstößen zur Verbrechensbekämpfung auf. Das Thema Anti-Mafia-Kampf scheint nicht auf der Prioritätenliste von Enrico Letta, 46, zu stehen. Der Premier, der seit Ende April einer großen Koalition aus Sozialdemokraten und Silvio Berlusconis Popolo della Libertà vorsteht, ernannte Mitte Juni eine Arbeitsgruppe, die Gesetzesvorschläge gegen Geldwäsche unterbreiten soll. Ihr gehören Experten der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria, des obersten Gerichtshofs und der italienischen Notenbank an. Das prominent besetzte Gremium machte bislang allerdings nur wenig von sich reden.
 
Dabei wäre der Zeitpunkt für ein Anti-Mafia-Paket der Regierung genau richtig. Das Land wirbt intensiv für die Expo 2015 in Mailand. Staatspräsident Giorgio Napolitano und Premier Letta betonten in den vergangenen Wochen, wie wichtig die Weltausstellung für das Ansehen des Landes in aller Welt sei. Die Expo ist jedoch mit Gefahren verbunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die organisierte Kriminalität mitmischt und um Aufträge buhlt. Allen voran die 'Ndrangheta hat in der Lombardei inzwischen großen Einfluss.
 
Sollte die Regierung in Rom glaubwürdig gegen die organisierte Kriminalität vorgehen, würden sich internationale Investoren vielleicht wieder stärker in Italien engagieren. Ausländische Direktinvestitionen sind rar in Italien. Von einer Investitionswelle würde auch der wirtschaftlich schwache Süden profitieren. Potenzial bietet der Verkehr: Mithilfe von Autobahnen, Häfen und Bahnstrecken könnte sich der Süden zu einem Warenumschlagplatz für ganz Europa wandeln. Die Regierung bewegt sich immerhin. Auf der Kabinettssitzung am Freitag einigte sie sich auf das Programm Destinazione Italia, mit dem Auslandsinvestitionen angelockt werden sollen.
 
Details sollen im September folgen. Italien steckt in einer schweren Rezession. Im vergangenen Jahr brach das Bruttoinlandsprodukt um 2,4 Prozent ein, im Süden sogar um 2,8 Prozent. In Regionen wie Apulien, Kalabrien und Sizilien sind viele alte Fabriken beheimatet, die im globalen Wettbewerb wegen hoher Energie- und Transportkosten nicht mehr profitabel sind. Sie werden reihenweise dichtgemacht. Der Autohersteller Fiat schloss beispielsweise das Werk Termini Imerese auf Sizilien.

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