Donnerstag, 4. April 2013

Der Milliardenschlag gegen die Cosa Nostra

Italiens Anti-Mafia-Behörde beschlagnahmt 1,3 Milliarden Euro. Im Fokus des Coups steht der millionenschwere Unternehmer Vito Nicastri, der eine erstaunliche Karriere hinter sich hat.

Ein Windenergiepark bei Chieti in den Abruzzen. Auch dort hatte Mafia-Boss Vito Nicastri investiert

Deckname "Eolo": 1,3 Milliarden Euro – die größte Summe, die der italienische Staat jemals aus Mafia-Vermögen beschlagnahmt hat, ist in einer konzertierten Aktion von den staatlichen Anti-Mafia-Fahndern in die leeren italienischen Staatskassen befördert worden.

56 Bankkonten fielen den Razzien zum Opfer, Bargeld, Immobilien, Grundstücke, Fabriken, Automobile, Yachten und 43 Firmen wurden besetzt und konfisziert, alle aus Besitz und Beteiligungen des sizilianischen Unternehmers Vito Nicastri.



Einsatz der Spezialtruppe DIA bei der Verhaftung von Vito Nicastri



Nicastri wird "König der Windkraft" genannt, denn sein Vermögen machte der 57-jährige Unternehmer vor allem mit Wind- und Sonnenenergiegewinnung. Nicastri entwickelte und realisierte mit seinen Firmen Kraftwerke auf ganz Sizilien. Aber seine wirtschaftliche Macht dürfte er nicht ohne die Protektion einer ganz spezifisch sizilianischen Organisation erlangt haben: der Mafia. Über den Unternehmer wurden drei Jahre Hausarrest verhängt.



Vito Nicastri - der Herr des Windes

Nicastris Verbindungen führen, so vermuten die Fahnder der DIA, der nationalen Anti-Mafia-Fahndungstruppe, direkt in die Chefetage der Cosa Nostra und zu ihrem derzeitigen Boss Matteo Messina Denaro. Mit der spektakulären Aktion hoffen sie, Denaro einkreisen zu können. DIA-Chef Arturo De Felice sagte der "Welt": "Wir hoffen, dass wir ihm nun einen großen Schritt näher gekommen sind. Wenn Sie ein Auto nicht auftanken, fährt es nicht mehr. So ist das auch mit der Mafia: Wenn ihr der Rohstoff Geld fehlt, verlangsamt das die Fahrt und beschneidet ihre Macht."

 

Eines der 7 luxuriösen Anwesen von Vito Nicastri


Vom Elektriker zum Millionär


Messina Denaro belegt Platz fünf auf der Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der Welt. Anfang der 90-er Jahre tauchte er unter, lebt aber höchstwahrscheinlich auf Sizilien in der Nähe von Trapani im Westen der Insel. Es ist bekannt, dass es die Macht der Mafia-Bosse nicht einschränkt, wenn sie versteckt leben müssen.


Matteo Messina Denaro
er gehört zu den 5 meistgesuchten Verbrechern weltweit

Und mit der Karriere von Messina Denaro innerhalb der Cosa Nostra hat sich auch das Machtzentrum der Mafia aus dem zentralsizilianischen Corleone nach Trapani verlagert. Das ist einer der Gründe, die Nicastri und sein Vermögen verdächtig gemacht haben. Nicastri lebt in Alcamo, das zur Provinz Trapani gehört. Er machte eine sehr schnelle und leichte Karriere vom einfachen Elektriker zum millionenschweren Unternehmer. In wenigen Jahren hatte er ein Firmenimperium aufgebaut, das bis in den Norden Italiens nach Mailand und sogar ins Ausland reicht.

Ohne den "Dominus" geht nichts


"Das allein ist ein Indiz für uns Fahnder", erklärt DIA-Chef De Felice. "In der sizilianischen Realität funktioniert das folgendermaßen: In einer Gegend, wo ein mächtiger Mafia-Boss wie Messina Denaro lebt und herrscht, ist es normalerweise völlig unmöglich, eine größere wirtschaftliche Aktivität ohne die vorherige Zustimmung und die direkte Beteiligung der herrschenden Mafia-Organisation zu betreiben." Ohne den "Dominus", wie die Fahnder den Boss in der Fachsprache nennen, geht gar nichts.

Abzocke bei Windkraft-Subventionen


"Ich mag den Namen Boss der Bosse nicht", sagt DIA-Chef De Felice, "das hört sich nach Seifenopern an und trifft nicht den Ernst der Lage. Wir können aber davon ausgehen, dass er die Nummer eins der sizilianischen Mafia ist." Seine Geschäfte hat Messina Denaro vor allem mit internationalem Drogenhandel gemacht, weil er sehr gute Kontakte zu den lateinamerikanischen Drogenkartellen unterhält.


Zentrale der DIA (Direzione Investigativa Antimafia) Rom


Das FBI hält ihn für einen der mächtigsten Drogenhändler. Seiner Intelligenz und Gerissenheit, seinen Kenntnissen in der Informationstechnologie und der Wirtschaft verdanken die sizilianischen Mafiosi ihre Salonfähigkeit. So konnten sie in die legale Wirtschaft einsteigen und an der Börse die Millionen aus dem Drogenhandel und anderen illegalen Aktivitäten "waschen".

Das Interesse an Wirtschaftszweigen wie den erneuerbaren Energien ist da ein besonders appetitlicher Sektor: Viel Geld kann in die teuren Anlagen investiert und so "gesäubert" werden. Immer wieder gab es auf Sizilien in den vergangenen Jahren Fälle, in denen Unternehmer verhaftet und Firmen beschlagnahmt wurden.

Mit der erneuerbaren Energie lassen sich zudem millionenschwere Subventionen erschleichen. Und die fließen reichlich auf die Insel, aus Rom und auch aus Europa. "Bisher haben wir keine Beweise dafür, dass hier auch Gelder aus Brüssel im Spiel sind, während Nicastris Geschäfte mit Sicherheit auch von staatlichen italienischen Subventionen für Sizilien gespeist wurden", erklärt De Felice. "Es gab Fälle von politischer Korruption auf lokalem Niveau, auch das ist ein Indiz. Das gilt sowohl für Subventionen als auch für Genehmigungen und Lizenzen."

Die Beschlagnahmung der 1,3 Milliarden aus Nicastris Vermögen ist die größte Aktion dieser Art, die es in Italien je gegeben hat. Die Konfiszierung ist ein Rechtsmittel, das erst durch die spezifische Mafia-Gesetzgebung Italiens möglich wurde, die das Verbrechen der kriminellen Organisation der Mafia anerkennt. Die Konfiszierung der Güter kann aufgrund erwiesener Tatbestände aber auch vorbeugend eingesetzt werden, um weitere Verbrechen zu verhindern. "So war es im Fall von Nicastri. Nach einer vorläufigen Beschlagnahmung ist die Konfiszierung der Güter nun rechtskräftig geworden", so De Felice.

Milliarden für die Staatskasse


Endgültig beschlagnahmte Güter gehen sofort in den Besitz des Staates über. Eine speziell ins Leben gerufene "Agentur für von der Mafia konfiszierte Güter" verwaltet und verteilt die Vermögen. Firmen werden treuhänderisch verwaltet. Mit Immobilien und Bargeld werden sowohl die Bedürfnisse der staatlichen Fahndungsorgane gedeckt wie gemeinnützige Vereinigungen im Kampf gegen die Mafia unterstützt.

Noch am Tag der Großrazzia wollte De Felice sich mit dem Turiner Pfarrer Don Luigi Ciotti treffen. Er hat die Organisation Libera gegründet, die den Kampf gegen die Mafia mit Sozialarbeit und sozialen Einrichtungen in beschlagnahmten Häusern und Betrieben unterstützt.



Arturo De Felice - Chef der DIA


Die DIA ist "eine Art FBI, eine hoch spezialisierte Fahndungstruppe", erklärt Arturo De Felice. Sie ist ein Polizeiorgan und dem Innenministerium untergeordnet. Ihre Basen sind über das ganze Land verteilt, allein auf Sizilien gibt es sechs. Die DIA arbeitet eng mit der der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft zusammen. Beide Institutionen sind Anfang der 90er-Jahre entstanden, noch unter der Mitarbeit und Planung der 1992 ermordeten Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.

Einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der DIA hat Antonio Manganelli geleistet, der in der vergangenen Woche verstorbene Polizeichef Italiens. "Manganelli wäre stolz auf unsere Aktion gewesen. Ich vermisse seinen Anruf, der immer gleich danach kam", sagt De Felice.


Antonio Manganelli - Gründer der Anti-Mafia-Behörde DIA

 

Verbindungen nach Deutschland


Manganelli ist es auch zu verdanken, dass die DIA heute international gut vernetzt ist. Arturo De Felice wird im Juni BKA-Chef Jörg Ziercke in Berlin treffen. "Auch in Deutschland haben die Fahnder heute ein besseres Gespür und mehr Sensibilität für Mafia-Verbrechen entwickelt", sagt De Felice, "spätestens seit dem blutigen Attentat in Duisburg."

Dort wurden am 15. August 2007 sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant erschossen. Hintergrund der Tat war die Fehde zweier verfeindeter 'Ndrangheta-Familien. Der Haupttäter wurde im März 2009 in Amsterdam verhaftet und später nach Italien ausgeliefert. Am 12. Juli 2011 wurde er vor einem Geschworenengericht im kalabrischen Locri zu lebenslanger Haft verurteilt.

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