Sonntag, 21. April 2013

In ehrenwerter Gesellschaft, am Rande des Gesetzes

Sie herrschen über Teile von Berlins Unterwelt. Auch Rapper Bushidos im Fadenkreuz. Verbrecherische Clans wie die Abou-Chakers aber gibt es auch in anderen deutschen Städten. Der Clan von dem die Rede ist, ist laut Polizei schwer kriminell und hat Kontakte zur Italienischen Mafia aufgebaut.

„Dass Bushido bei der CDU ein- und ausgeht, ist nicht in Ordnung“: Bushidos Verbindungen zu einer zwielichtigen Berliner Großfamilie werden nun auch Thema im Bundestag. SPD-Politiker Oppermann will wegen der Mafia-Gerüchte den Ältestenrat einschalten.



Bushido


Im Berliner Landeskriminalamt gibt es drei Buchstaben, die ein Fahnder aussprechen muss, wenn er das resignierte Nicken der Kollegen sehen will: "A-B-C" und dann wissen alle Bescheid. Ach, Abou-Chaker. Die schon wieder. Bushido taucht auch auf einer internen Liste des Landeskriminalamtes Berlin auf, in der erkennungsdienstliche Fotos und Hinweise über die kriminellen Mitglieder der Abou-Chakers gesammelt sind.




Das Kürzel steht für Angehörige der Familie, die Berlins Unterwelt beherrscht. Es steht aber auch für den anscheinend aussichtslosen Versuch, die familiäre Bandenkriminalität in der Hauptstadt in den Griff zu bekommen. Verhaftungen, Prozesse und Gefängnisstrafen scheinen knapp 30 Mitglieder des Clans der Abou-Chakers nicht nachhaltig zu beeindrucken.

Die "ABC" gehören für szenekundige Polizeiführer zu den Machthabern der organisierten Kriminalität in Berlin. "Sie stehen für Verbrechen, Gewalt und Angst", so ein frustrierter Beamter, der nur den "Kopf schütteln kann über das Versagen der Gesellschaft".
Und so schmücken sich die Abou-Chakers noch mit einem Sänger, der sich gern "Gangsta-Rapper" nennen lässt und mit überzeichneter Gossensprache den angeblichen Lebenswandel von Frauen abhandelt, die er ausschließlich mit der Vokabel "Schlampen" belegt. Darüber hat sich hierzulande nur Alice Schwarzer erregt. Der darf offenbar so reden.






Mit Haut und Haaren ausgeliefert

Bushido, der gern so groß tut und sich für unverwundbar hält, hat etwas getan, was allgemein für nicht gerade genial gehalten wird: Anis Mohamed Youssef Ferchichi, so sein bürgerlicher Name, hat seinem Freund Arafat Abou-Chaker eine notariell beglaubigte Generalvollmacht ausgestellt. Damit darf er alles mit Bushidos Besitz machen, was ihm gefällt.

Der Sänger hat sich ihm mit Haut und Haaren ausgeliefert. Das Dokument hat der "Stern" abgedruckt, und es scheint der Beweis dafür zu sein, dass Bushido sich der Familie nicht nur verbunden fühlt, sondern sich auch an sie gekettet hat. Vor Jahren hat ihn Arafat Abou-Chaker aus einem unvorteilhaften Plattenvertrag geboxt, vielleicht war das der Dank dafür.
Die schrecklich nette Familie, deren Nähe Bushido so intensiv sucht, gilt als eine der bekanntesten 20 bis 30 Großfamilien, die in Berlin berüchtigt sind. Die Berliner Kriminalpolizei hat wegen des Verdachts auf zahlreiche Delikte gegen Mitglieder der Abou-Chakers ermittelt, unter anderem wegen Drogen- und Menschenhandels, Erpressung und Zuhälterei.

Angehörige der Familie sollen bereits große Teile der Prostitutionsszene der Kurfürstenstraße kontrollieren. Zudem drängten sie in das Rotlichtmilieu an der Oranienburger Straße. Außerdem sollen die führenden Mitglieder eine Diskothek in Friedrichshain betreiben.

 

Polizei sieht "ethnische Subkulturen"

Die Clan-Kriminalität ist in keinem anderen Bundesland so schillernd mit der Popkultur verknüpft wie in Berlin. Doch längst hat auch das Bundeskriminalamt (BKA) erkannt, dass die oft staatsfernen Clans bundesweit anzutreffen sind und ihnen schwer beizukommen ist.


Ausländische Großfamilien haben in verschiedenen Regionen Deutschlands Fuß gefasst und "ethnische Subkulturen gebildet", warnte das BKA schon vor Jahren. Die "Zerschlagung" dieser kriminellen Strukturen werde "nur in Teilbereichen" möglich sein, so die Ermittler.

Dabei wirken die Berliner Abou-Chakers unter den polizeibekannten Clans im bundesweiten Vergleich eher wie eine Kleinfamilie. Eine der wirklich großen Problem-Sippen hat sich im beschaulichen Bremen ausgebreitet. Es ist die Familie Miri, deren Angehörige erkennen sich unter anderem am Buchstaben "M", den sie sich auf Poloshirts einnähen, umrankt von einem Lorbeerkranz und dem Schriftzug "Das goldene M".

Die Mitglieder der Sippe, der nach Polizeiangaben bis zu 2600 Menschen angehören, stehen in der Hansestadt für "organisierte Kriminalität vom Feinsten", wie mal ein Fahnder dem "Stern" sagte.

Sie gehören zu einem weitverzweigten Clan einer kurdischen Ethnie, den sogenannten Mhallamiye-Kurden, die sich untereinander auf Arabisch verständigen. Viele der Miris haben 15 oder mehr Kinder, das Organigramm der Familienzweige umfasst mehr als acht Meter Papier. Es gibt Ableger in Berlin und im Ruhrgebiet.

 

Die Bilanz der Familie mit dem "goldenen M"

Nicht jeder, der den Nachnamen trägt, ist kriminell. Aber 1.466 Angehörige des Clans sind nach Angaben der Polizei bereits einmal straffällig geworden, mehr als 1.000 Straftaten pro Jahr sollen auf das Konto der Großfamilie gehen. Mit Schutzgelderpressung, Diebstählen, Drogen- und Waffenhandel setzt der Clan bis zu 50 Millionen Euro um, schätzt die Polizei.


Das Ausländerrecht greift nicht mal als Drohmittel: Die Bremer Innenbehörde glaubt zwar, dass die Familie aus der Türkei stammt. Die Türkei behauptet jedoch, der Libanon sei zuständig. So bleiben alle an der Weser. Einer der Miris gab vor dem Bremer Landgericht einen wohl ehrlich gemeinten Kommentar ab, als ihm der Prozess wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gemacht wurde: "Ich scheiß' auf diesen Staat!"
Es ist dieses ausgeprägte Unrechtsbewusstsein, das Polizisten stets aufs Neue frustriert. Strafen werden hingenommen, die Familiensolidarität geht über alles, und vor allem thront sie über den Gesetzen. Das gilt für Clans wie auch die klassischen Vertreter der organisierten Kriminalität – der Mafia und der Rockerbanden.

 

Die Cosa Nostra im Ländle

Die Haupt-Operationsbasis italienischer Mafiosi befindet sich in Deutschlands Südwesten. Mindestens elf verschiedene Gruppen der kalabrischen 'Ndrangheta haben Dependancen in Baden-Württemberg, aber auch die Cosa Nostra hat ihre Netzwerke mitten hinein ins Ländle gespannt, heißt es im Landeskriminalamt.


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Wie wohl sich die Mafiosi im deutschen Südwesten fühlen, zeigte eine Festnahme 2009: Damals waren zwei Mafia-Killer kurz vor einem geplanten Dreifachmord in Italien festgenommen worden. Sie hatten jahrelang in Baden-Württemberg gewohnt. Im Handel mit Kokain, Heroin und Co. soll die 'Ndrangheta enge Bündnisse mit türkischen und kolumbianischen Drogenkartellen eingegangen sein.

Die klassischen Geschäfte der selbst ernannten "ehrenwerten Gesellschaft" haben vielerorts auch Motorradklubs an sich gerissen. In Bremen breiten sich die "Mongols" aus, eine meist aus kurdischstämmigen Mitgliedern zusammengesetzte Truppe. In Duisburg kämpfen sich die "Bandidos" nach oben. Und in Hamburg machen sich die "Hells's Angels" breit, die eigentlich schon 1983 dort verboten wurden und jetzt unter den Namen "Harbour City" oder "Rot-Weiß" firmieren.






Die Hells Angels auf St. Pauli

Nach dem Rückzug albanischer Paten und einer einflussreichen Zuhälterbande haben die früheren Höllenengel das Machtvakuum auf St. Pauli ausgefüllt und Milieuexperten zufolge weite Teile der Gastronomie und die Türsteher-Szene rund um den Hans-Albers-Platz im Griff.

Außerdem kontrollieren sie die Geschäfte im Eros-Laufhaus an der Reeperbahn. "Aber mit Prostitution ist wegen der Konkurrenz des Internets immer weniger Geld zu verdienen", sagt ein Ermittler. Deshalb nehme der Handel mit Drogen und Waffen zu.




Ob Mafia, Clan oder Rocker – manchem Mitglied wird das Geschäft mit der organisierten Kriminalität irgendwann dann doch zu heiß. Die Aussicht auf weniger Angst und Konkurrenzdruck, auf Reihenhaus und Familie, auf ein richtiges Leben nach dem falschen bringt einige Ex-Gangster dazu, sich als gesetzestreue Geschäftsmänner zu versuchen. So wie Yunus Miri (Vorname geändert), ein Mitglied der berüchtigten Miri-Familie und nach Erkenntnissen von Ermittlern ihr Statthalter im Westen.

Idyllisch lebt seine Familie in einer Villa an der Grenze zwischen Rheinland und Ruhrgebiet. Die Kinder sind eingeschult, die Frau ist mit den Nachbarn gut bekannt. Das Geld für seinen luxuriösen Lebensstil erwirtschaftet er offenbar legal.

Das halblegale Leben danach

Zumindest neuerdings, wie nordrhein-westfälische Fahnder betonen. Denn Yunus Miri entstammt dem rund 200-köpfigen Berliner Zweig der Miri-Familie. Über Jahre wurde er verdächtigt, im großen Stil an illegalem Glücksspiel und Autohandel zu verdienen. In Berlin galt er als eine führende Figur dieser Szene. Doch überführen konnte die Polizei ihn nie.




Yunus Miri hat inzwischen in verschiedenen Großstädten einen florierenden Autohandel aufgebaut, der ihm erhebliche Einnahmen bringt – alles saubere Geschäfte. Natürlich haben ihn die Experten für organisierte Kriminalität noch im Auge. Aber auch sie müssen einräumen, dass er es wohl "geschafft" hat.

Soll heißen: Dem früher als gewalttätig verrufenen Mann gelang es, von der illegalen in die legale Wirtschaft zu wechseln. Ihm scheint geglückt, wovon etliche Kriminelle träumen: Erst verdiente er gewaltige Summen in der Unterwelt, dann schaffte er – die Taschen voller Geld – den Sprung in ein komfortables Leben nach der Kriminalität.

Ganz so clever hat es Anis Mohamed Youssef Ferchichi nicht angestellt. Die Staatsanwaltschaft Berlin soll ein Ermittlungsverfahren gegen den Popstar wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung führen, ein Delikt, das schon echte Mafia-Bosse wie Al Capone hinter Gitter brachte. Da könnte er den ganz Großen dann tatsächlich einmal ähneln, der kleine Bushido mit den mächtigen Freunden.


 Anis Mohamed Youssef Ferchichi alias Bushido

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